In Zusammenhang mit dem Yppen-/Brunnenviertel scheint ein medialer Filter zu existieren, der alles eliminiert oder schönfärbt, was einen negativen Eindruck hinterlassen könnte. Das entstehende Zerrbild nützt vielleicht den Geschäftstreibenden – sonst aber niemandem.
In der Gegend um Brunnenmarkt und Yppenplatz bestehen zumindest drei private Interessenkoalitionen – die lokale Gastronomie, die übrigen Gewerbetreibenden mit Gassenlokalen sowie die Immobilienbranche, die hier investiert hat, auf ihrem Trittbrett die lokalen Zinshaus- und WohnungseigentümerInnen. Alle drei Gruppen haben nur zwei Ziele: möglichst viel Kundschaft und möglichst hohe Preise. Vor allem Letzteres entspricht leider nicht den Interessen der Mehrheit der Menschen, die hier wohnen.
Dazu gesellt sich die Gemeinde- und Bezirksverwaltung, die sich mit ihrer Aufwertungsstrategie inkl. Wohnbauförderung ziemlich weit aus dem Fenster gelegt hat. Sie hat keine finanziellen Verluste zu befürchten (was hier investiert – m.E. zum Teil schlicht verpulvert – wird, sind Steuergelder), trägt aber das politische Risiko eines Misserfolgs. Dies übrigens zu Recht – sie verfolgt zuletzt wieder einen Top-Down-Ansatz, bei dem die lokale Bevölkerung nichts mitzureden hat (was übrigens logisch ist, wenn dieselbe ohnehin ausgetauscht werden soll – Stichwort „soziale Durchmischung“).
Der Effekt dieser Interessenlagen: Hype und Jubelmeldungen sind die einzige Option. Zu kommunizieren ist die folgende Message (Zitat aus der Werbung einer Immobilienfirma): „Der Yppenplatz ist eine der buntesten Gegenden in ganz Wien – genießen Sie die kreativ-entspannte Atmosphäre und das internationale Flair in diesem belebten Viertel und den Brunnenmarkt mit mehr als 170 Marktständen.“ Alles, was diesem Image Abbruch tut, ist ein „Non-Event“, das zu unterschlagen oder notfalls positiv umzudeuten ist.
Wie der Filter funktioniert, lässt sich etwa am Beispiel der Gastronomie illustrieren. Das indische Restaurant Arjuna neben dem Café Club International existiert seit kurzem nicht mehr. Der Pächter hat das Handtuch geworfen. Es wird gemunkelt, dass die Pachtforderung des Hauseigentümers daran nicht ganz unschuldig ist, und dass die hoffnungsvollen Betreiber des neuen CAY (= Café am Yppenplatz”) am selben Standort sogar noch mehr zu berappen haben. Bleibt abzuwarten, wie lange das gut geht.
Das Scheitern einer Geschäftsidee ist keine gute Nachricht, und zudem hat das Viertel mit dem Wegfall der indischen Küche etwas an “internationalem Flair” verloren, der seit Jahren bis zum Erbrechen gehypt wird. Wie das medial schöngefärbt werden kann, zeigt die Zeitschrift Falter in einem Bericht zum neuen CAY: Demnach war das Arjuna ohnehin “grenzenlos langweilig”. Aber ab jetzt wird ja alles besser – sollen wir wohl glauben. Trotzdem wünsche ich dem CAY natürlich alles Gute.
Oder nehmen wir den Marktstand Nr. 154 neben dem Stand von Staud’s. Eine Zeit lang war da das Muskat drin, nettes Konzept, Gastronomie mit Büchern zum Lesen und Kaufen – die Medien schrieben freundlich darüber – warum auch nicht? Die Betreiberin verlor dann offenbar die Lust – oder zuviel Geld. Dann versuchten es Leute mit einem neuen Konzept namens „Einraum“, und wieder gab es freundliche Artikel nebst Erwähnung der süßen Origami-Vögelchen an der Decke. Leider hatte der Stand mitten im Winter einen Wasserschaden zu beklagen, wie auf der Glasfassade stand, nebst Ankündigung einer möglichst raschen Wiedereröffnung. Mittlerweile steht dort „Zu verkaufen“. Zwei gescheiterte Projekte binnen kurzer Zeit – das passt nicht ins Bild. Also herrscht Schweigen.
Als Makler des Marktstands „am immer weiter aufstrebenden Yppenplatz“ betätigt sich eine Immobilienfirma names Advanta, und die wollen dafür brutto 234.000 Euro (siehe Screenshot rechts). Der Betrag hat bei einem lokalen Gewerbetreibenden schallendes Gelächter ausgelöst. Eine gute Gelegenheit, ererbtes Vermögen in den Sand zu setzen, wie ein anderer witzelte. Da ja angeblich eben eine “Erbengeneration” im besten Alter ist, sollte sich ja jemand finden lassen.
Sicher ist jedenfalls: Was auch immer da rein kommt, wird mit ebensolcher Begeisterung begrüßt werden wie die beiden Lokale davor.
Vielleicht 100 Meter entfernt, am Nordwesteck des Platzes, steht ein großes Gassenlokal nun schon mehr als eineinhalb Jahre leer – die ehemalige Schlecker- bzw. Daily-Filiale beim Restaurant Wetter (siehe Bild links). Eindeutig ein „Non-Event“, dass nicht zur „Message“ passt: Ein derart langer Leerstand könnte doch den Verdacht aufkommen lassen, dass sich hier nicht genug verdienen lässt (zumindest nicht genug, um die Mietforderungen erfüllen zu können). Igittigitt. Also nicht einmal ignorieren.
Ebensolches gilt für das Lokal an der Südseite des Yppenplatzes, Ecke Weyprechtgasse. Das war einmal eine Zielpunkt-Filiale und stand schon mehr als zwei Jahre leer; ein ziemlich großes Ding, das anfangs um mehr als 5.000 Euro monatlich angeboten wurde. Seit einiger Zeit wird da drin gewerkelt, aber hinter Packpapiervorhängen. Wird das Geheimnis gelüftet (hoffentlich kein Restaurant), wird die Werbemaschine wieder angeworfen werden. Es sei denn, es wird ein SEWA-Shop … [Nachtrag: Das Rätsel scheint gelöst – hier wird sich die Nudelmanufaktur Bruckner etablieren; siehe www.nudelmanufaktur.at bzw. www.nudelmanufaktur-bruckner.com. Mehr dazu sobald nähere Informationen vorliegen.]
Was für Leerstände gewerblicher Art gilt, gilt umso mehr für die schleichende Vertreibung von BewohnerInnen des Viertels, die sich entweder die geforderten Mieterhöhungen für eine Verlängerung ihres befristeten Mietvertrags nicht leisten können/wollen oder die einfach rausgeschmissen werden, weil das betreffende Zinshaus ganz oder teilweise leer gemacht werden soll (zwecks Sanierung, Dachbodenausbau oder Abriss). Berichtet wird erst nach vollzogener „Aufwertung“: Seht her, wie neu und wie toll.
Auch der öffentliche Raum unterliegt einer einseitigen medialen Aufmerksamkeit. Etwa jene Teile des „Marktgebiets“, die nicht faktisch privatisiert sind. Dass die drei Silberlinden auf der zentralen „Piazza“ zwischen AnDo I und AnDo II (Fisch) ab Jahresmitte mittlerweile wie Baumleichen aussehen, ist unübersehbar. Ein Baumsterben im „In-Viertel“ ist aber kein Verkaufsargument, also findet es medial nicht statt. Die zuständigen MAs 59 und 42 (Marktamt, Stadtgartenamt) waschen ihre Hände in Unschuld – logisch: Alles andere würde ja bedeuten, einen Fehler einzugestehen, und das darf nicht sein: Magistratsabteilungen sind unfehlbar (siehe Rashomon am Yppenplatz) oder hüllen sich in Schweigen, wenn mit Kritik konfrontiert (das Marktamt hat auf eine Anfrage zum „Flagship Store“ der Ottakringer Brauerei im Dezember bisher nicht reagiert).
Die offizielle Strategie besteht offenbar darin, mit immer mehr Geld für immer neue „Impulse“ und „gute Nachrichten“ zu sorgen. Fast mit Furcht und Schrecken sehe ich der nächsten Inszenierung im Frühjahr entgegen: der Eröffnung des zweistöckigen Bierlokals der Ottakringer Brauerei (das erwähnte „Flagship Store“ der Marke Brauwerk Wien, offiziell ein “Marktstand”) samt der neuen Mini-Fußgängerzone davor.
Zum „Roten Teppich“, der hier mit Steuergeldern ausgebreitet wird (1,5 Mio. Euro), gehören die Abriegelung des gegenüberliegenden Mistplatzes, eine neue öffentliche WC-Anlage und die Verlegung des erst vor kurzem errichteten City Bike-Standplatzes vom Marktgebiet in die Yppengasse. Wahrscheinlich wird dazu sogar ein Fernsehteam engagiert, und aus allen medialen Rohren wird uns ins Hirn geschossen werden, dass die Attraktivität des Yppenmarkts nun neuerlich gestiegen ist (wohl so hoch, dass wir sie aus den Augen zu verlieren drohen). Dass die “Craft Beers” des Brauwerk Wien etwas teuer sind, ist irrelevant: Hauptsache, das Angebot wird bereichert. Vielleicht war der Bezirksverwaltung der lokale Alkoholkonsum zu niedrig.
Dass uns allen so mir nichts, dir nichts öffentlicher Raum (das abgerissene Marktamtgebäude) sowie eine denkmalschutzwürdige WC-Anlage abhanden kamen, wird sich zwar kaum verbergen lassen, aber als belanglos dargestellt werden – der Fortschritt hat eben seinen Preis.Das gilt auch für die Bebauungsbestimmungen gemäß Flächenwidmung, die ebenso umgangen wurden wie die Wiener Bauordnung: Mit der Fiktion, es handle sich um den “Umbau eines Marktstandes”, hat man der Ottakringer Brauerei offenbar eine Baubewilligung erspart, die scheinbar auch hofft, mit einer wahrscheinlich vorschriftswidrigen Fassade durchzukommen: Die sieht zumindest derzeit eher wie eine Kletterwand aus (Regeln zur horizontalen Beplankung oder Wiener Bauordnung § 112 (4): Wenn absturzgefährliche Stellen des Bauwerkes dem Verwendungszweck entsprechend auch für Kinder zugänglich sind, müssen Schutzvorrichtungen (Abs. 3) so ausgeführt sein, dass Kindern das Durchschlüpfen nicht möglich ist und das Hochklettern erschwert wird.).
Zuletzt ist auch der neue Büroturm am Hernalser Gürtel zu erwähnen, der einem großen Teil der BewohnerInnen des Viertels die Aussicht verschandelt. Der „Hernalser“ ist einfach zu fad, zu hässlich und zu störend, um zur Aufwertungspropaganda zu passen. Womit sein mediales Schicksal besiegelt ist: Seine Existenz wird weitestgehend ignoriert.