Der so genannte „Umbau“ des früheren Marktamtgebäudes am Yppenplatz 4 in ein „Flagship Store“ für die Ottakringer-Marke Brauwerk Wien scheint baurechtlich in der Luft zu schweben.
Wie berichtet (siehe Sinnlose Subvention), entsteht am Yppenplatz 4 ein Gastronomie-Standort der Ottakringer Brauerei auf den Grundmauern des (vor 1918 errichteten) Marktamtgebäudes. Offiziell – d.h. vom Marktamt der Stadt Wien (MA 59) – werden die Bauarbeiten als „Umbau bzw. Neuadaptierung“ bezeichnet. Zweck der Übung (aus der E-Mail der MA 59 vom 21. 11. 2014): „Wir hoffen mit diesem neuen Angebot die Attraktivität des Brunnenmarktes bzw. des Yppenplatzes weiter zu erhöhen und eine Steigerung der BesucherInnenfrequenz herbei führen zu können.“
Das also gar nicht „neue“ Gebäude ist im Rohbau seit Anfang Dezember 2014 fertiggestellt (siehe Bild oben). Eigentumsrechtlich handelt es sich zweifelsfrei um ein so genanntes Superädifikat wie die meisten Marktstände: Eigentümerin der Liegenschaft bleibt die Stadt Wien, das oberirdische Bauwerk gehört dem zukünftigen Betreiber des „Marktstands“, in diesem Fall der Ottakringer Brauerei. In der Steiermark werden solche Bauwerke auch als „Luftkeuschen“ bezeichnet – weil ihnen mangels Grundeigentum quasi der Boden fehlt.
Das neue Gebäude scheint aber auch baurechtlich in der Luft zu schweben, wie Recherchen ergeben.
Zu den Fakten: Der Standort ist als Sondergebiet Markt gewidmet. Der entsprechende Bebauungsplan sieht eine maximale Traufhöhe von 4,5 m vor; die Firsthöhe darf die tatsächlich erreichte Gebäudehöhe um nicht mehr als 3 m überragen (siehe Flächenwidmung, Textliche Bestimmung). Womit wir bereits beim ersten wichtigen Sachverhalt angelangt sind: Das alte Marktamtgebäude war um ca. 1,5 m höher (Traufhöhe) als der Bebauungsplan erlaubt.
Der zweite wichtige Sachverhalt: Das ist auch bei dem neuen – Pardon, umgebauten – Gebäude der Fall. Die Traufhöhe des Rohbaus beträgt mehr als 6 m, was natürlich ebenfalls nicht dem Bebauungsplan entspricht. Der Rohbau ist sogar insgesamt etwas höher (um geschätzte 0,5 m). Aus diesen beiden Fakten und dem Umstand, dass der weitgehende Abriss als „Umbau“ bezeichnet wird, lässt sich bereits die Vermutung ableiten, dass derart die Vorgaben des Bebauungsplans umgangen werden sollen.
Was die Frage nach der entsprechenden Baubewilligung aufwirft. Nun, und das ist der dritte Sachverhalt, eine Baubewilligung liegt nicht vor, wie von der Baubehörde (MA 37) zu erfahren ist – es gibt auch keine Bauanzeige (E-Mail der MA 37 vom 14. 11. 2014: „Ihre Anfrage vom 28.10.2014, die bei der MA 37 – Baupolizei eingelangt ist, wurde an die für das Marktgebiet zuständige Magistratsabteilung 59 – Marktamt weitergeleitet, da h.a. für die betreffende Liegenschaft kein Bauansuchen anhängig ist.“).
Für Uneingeweihte mag das überraschend sein. Doch gibt es laut Wiener Bauordnung eine nicht unerhebliche Anzahl von Bauten, für die weder eine Bauanzeige noch eine Bewilligung erforderlich ist, so genannte „bewilligungsfreie Bauvorhaben“, wobei „Bauvorhaben“ sowohl Neubauten wie Umbauten sein können. Fündig wird man unter § 62 a (1) Ziffer 8: „Stände auf Märkten in einem Marktgebiet im Sinne der Marktordnung“. D.h., zur Klarstellung: Marktstände dürfen ohne Bauanzeige und Baubewilligung umgebaut oder neu errichtet werden.
Nun zum vierten wichtigen Sachverhalt – und das ist auch der letzte zweifelsfrei feststellbare Sachverhalt: Das alte Marktamtgebäude war natürlich kein Marktstand und ist daher auch in den diversen (noch nicht aktualisierten) Informationen im Stadtplan der Stadt Wien auch nicht als solcher verzeichnet.
Der Rest des Textes ist Spekulation – d.h., die Rechtslage und die Umstände könnten von der Beschreibung abweichen, die aber ziemlich plausibel scheint.
Die MA 59 scheint also davon auszugehen oder jedenfalls vorzugeben, dass es sich bei den laufenden „Bauführungen“ um den Umbau eines Marktstands handelt, und zwar gleich aus zwei Gründen. Erstens hätte im Fall der Neuerrichtung eines Marktstands im Sondergebiet Markt der Bebauungsplan eingehalten werden müssen, d.h. eine maximale Traufhöhe von 4,5 m. Unter diesen Voraussetzungen wäre das laufende Projekt so nicht realisierbar gewesen. Zweitens wird vorgegeben, das alte, bis auf die Grundmauern abgerissene Marktamtgebäude wäre ein Marktstand gewesen, um sich (bzw. der Ottakringer Brauerei) eine Bauanzeige und eine Baubewilligung zu ersparen.
Nun war aber das Marktamtgebäude kein Marktstand, und die Ausnahme in § 62 a (1) Ziffer 8 Wiener Bauordnung bezieht sich ausschließlich auf „Marktstände“. Daraus folgt, dass die MA 59, also eigentlich die Ottakringer Brauerei, für den Umbau des Marktamtgebäudes eigentlich eine Baubewilligung benötigen würde, darüber aber nicht verfügt. So gesehen handelt es sich beim in Errichtung befindlichen Standort der Ottakringer Brauerei um einen „Graubau“ oder eigentlich um einen Schwarzbau.
Theoretisch hätte das nun in Umsetzung befindliche Projekt aber durchaus „sauber“ abgewickelt werden können. Und zwar wie folgt:
Um der Ottakringer Brauerei (oder einem anderen Gastronomie-Anbieter) die Errichtung eines Marktstandes am Ort des früheren Marktamtgebäudes zu ermöglichen, der höher ist als der geltende Bebauungsplan erlaubt, hätte in einem ersten Schritt eine Bewilligung einer Abweichung vom Bebauungsplan gemäß § 69 (1) Wiener Bauordnung durch den Gemeinderat beantragt werden können. Bei Vorliegen einer solchen Bewilligung wäre der tatsächlich aufgeführte verbale Eiertanz (Neubau vs. Umbau/Neuadaptierung; Marktamtgebäude als „Marktstand“) völlig unnötig gewesen. Allenfalls wäre in einem zweiten Schritt vielleicht eine Bewilligung für den Abriss bzw. Abbruch des Marktamtgebäudes bei der MA 37 zu beantragen gewesen. Letztere wäre wohl bei Einhaltung sonstiger Bauvorschriften anstandslos erteilt worden.
Abgesehen davon, dass das alles „Umstände“ macht und etwaigen Zeitvorgaben widersprechen könnte, muss der Grund für die Wahl einer rechtlich scheinbar nicht ganz sauberen Vorgangsweise also mit dem ersten Schritt zu tun haben – unter anderem damit, dass ein Antrag auf Bewilligung einer Abweichung vom Bebauungsplan im Gemeinderat begründet werden muss. Etwa sieht der Leitfaden für die Vorgangsweise bei Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes nach § 69 der Bauordnung für Wien u.a. vor (Hervorhebungen vom Autor dieses Textes):
„Es ist von der bestehenden Flächenwidmung und den bestehenden Bebauungsbestimmungen auszugehen und der Nachweis zu führen, dass durch die beantragte Abweichung die beabsichtigte Flächennutzung z.B. im Sinne einer höheren Wohn- oder Lebensqualität – (noch) besser genutzt werden kann; welchen Mehrwert (Wohnqualität, Ökologie, Aufschließung, Barrierefreiheit, Altersgerechtigkeit, Jugendfreundlichkeit, etc.) bringt das beantragte Projekt (Betroffenen, Nutzer/innen, Anrainer/innen bzw. der Öffentlichkeit)?“
Einen solchen Nachweis zu führen wäre im konkreten Fall wohl schwierig gewesen: Worin besteht der Mehrwert im Sinne dieses Leitfadens, wenn hochpreisige Biersorten der Marke Brauwerk Wien (sie werden derzeit u.a. um 5,8 Euro pro 0,3 Liter im Gastgewerbe angeboten) anstatt in einem „gewöhnlichen“ Marktstand mit zulässiger Traufhöhe (unter Einhaltung des Bebauungsplans) in einem Gebäude mit Traufhöhe von mehr als 6 Metern verkauft werden? Die Bewilligung eines solchen Antrags durch den Gemeinderat hätte mit Fug und Recht als bloßer Gefälligkeitsbeschluss zugunsten der Ottakringer Brauerei (oder eines anderen Gastronomieanbieters) gegolten.
Aus Sicht des Marktamts wäre die rechtlich saubere Vorgangsweise also nicht nur umständlich, sondern auch mit einem politischen Risiko verbunden gewesen – abgesehen vom Risiko, dass der Gemeinderat die Bewilligung verweigert. Daher erspart man sich das alles, denn es geht ja auch so – scheint’s zumindest. Wo kein Kläger, da kein Richter.