Rund um den Brunnen- und Yppenmarkt ergab sich bei den Wiener Gemeinde- und Bezirksratswahlen eine satte rot-grüne Mehrheit – wie schon 2010 (allerdings ohne Wahlkartenstimmen). Bedenklich sind die Zahlen zur Wahlbeteiligung an den Bezirksratswahlen.
Erstmals habe ich mir die Mühe gemacht, die Ergebnisse einer Gemeinde- und Bezirksratswahl im Brunnenviertel unter die Lupe zu nehmen. Die folgende Darstellung inklusive Grafiken beruht auf dem vorläufigen Endergebnis in jenen fünf Ottakringer Wahlsprengeln, die unmittelbar an den Brunnen- und Yppenmarkt angrenzen (Sprengel 3 bis 7); der Bereich umfasst das Gebiet zwischen Gürtel, Ottakringer Straße, Hubergasse bzw. Kirchstetterngasse und Thaliastraße (siehe Karte). Es gibt hier insgesamt 3.551 (Gemeinderatswahl) bzw. 4.746 (Bezirksratswahl) Wahlberechtigte. Die Beschränkung auf diese fünf Sprengel ist natürlich bis zu einem gewissen Grad willkürlich.Nachtrag 16.10.2015: Exakte Analyse von Sprengelzahlen wohl unmöglich
Wie mir mittlerweile klar geworden ist, ist eine exakte Analyse des Wahlverhaltens auf Sprengelebene auf Basis der vorhandenen Daten nicht möglich, da die auf wien.gv.at ausgewiesenen Sprengelergebnisse keine Wahlkartenstimmen beinhalten. Die Wahlkartenstimmen werden lediglich gesondert auf Bezirksebene dargestellt und auch nachträglich nicht den Sprengeln zugeteilt. Die im ursprünglichen Beitrag hervorgehobene extrem niedrige Wahlbeteiligung an den Gemeinderatswahlen im Brunnenviertel (57%) ist nur deshalb so niedrig, weil die Wahlkartenstimmen fehlen (mehr als 8.000 in Gesamt-Ottakring bei den Gemeinderatswahlen).
Die in den Grafiken unten dargestellten Ergebnisse dürften aber im Großen und Ganzen doch das Wahlverhalten im Grätzel widerspiegeln. Eine behelfsmäßige Zuordnung der Ottakringer Wahlkartenstimmen (40,4% SP, 22,9% FP, 18% Grüne, 10,3% VP) würde lediglich den Anteil der Grünen etwas drücken und den der FP und der VP leicht erhöhen.
Trotz fehlender Wahlkartenstimmen lässt sich daher sagen, dass die Leute hier doch etwas anders als die übrigen WienerInnen wählen: Rot und Grün genießen fast eine Zweidrittel-Mehrheit, die FP schneidet mit Abstand schlechter ab als anderswo, und die VP hat es hier noch schwerer als im übrigen Wien. Das war im Wesentlichen schon 2010 ebenso, wie die zweite Grafik unten zeigt.
Wie man aus einem Vergleich der Ergebnisse der Gemeinde- und der Bezirksratswahlen in den fünf Sprengeln herauslesen kann, war hier vielleicht ein gewisser „Strache-Faktor“ am Werk: Einige WählerInnen könnten sich aus Angst vor einem FP-Wahlsieg bei den Gemeinderatswahlen für die SP entschieden, aber auf Bezirksratsebene ihren eigentlichen Präferenzen Ausdruck gegeben haben; das könnte vor allem bei Grün-, aber auch bei ANDAS-WählerInnen (2,5% Gemeinderat, 3,7% Bezirksrat) der Fall gewesen sein. Die beiden Grafiken beinhalten allerdings keine Wahlkartenstimmen, und bei den Bezirksratswahlen sind nur die Stimmen von ÖsterreicherInnen enthalten, da das Abstimmungsverhalten von UnionsbürgerInnen auf Sprengelebene nicht bekanntgegeben wird (siehe unten).
Wahlbeteiligung der EU-BürgerInnen
Die Beteiligung an den Gemeinderatswahlen dürfte bei proportionaler Zuordnung der Wahlkartenstimmen nur leicht unter dem Ottakringer Schnitt (> 70% gegenüber 73%) gelegen sein. Interessant ist aber auch die Beteiligung an den Bezirksratswahlen – hier sind bekanntlich auch alle StaatsbürgerInnen eines EU-Mitgliedslands wahlberechtigt. Diese Bevölkerungsgruppe hat in den untersuchten fünf Sprengeln seit 2010 übrigens stark zugelegt, von 596 auf 1.195 Personen, wobei es sich auch um einen Effekt des kroatischen EU-Beitritts (2013) handeln könnte.
Was ich in der ersten Version dieses Beitrags nicht wusste, aber für einiges Rätselraten meinerseits gesorgt hat: Laut Auskunft der zuständigen Magistratsabteilung 62 werden Zahlen zum Wahlverhalten von UnionsbürgerInnen auf Sprengelebene nicht veröffentlicht. Grund ist der Schutz des geheimen Wahlrechts, denn bei einer kleinen Zahl von Betroffenen wäre es eventuell möglich, herauszufinden, wer wie gewählt hat.
Wie stark sich die EU-BürgerInnen an den Bezirksratswahlen beteiligt und wie sie gewählt haben, ist nur auf Bezirksebene feststellbar (siehe Kasten). Den ausgewiesenen Zahlen nach lag die Wahlbeteiligung dieser Bevölkerungsgruppe in Ottakring bei ca. 15%. In Wien insgesamt liegt die Wahlbeteiligung von UnionsbürgerInnen an den Bezirksratswahlen bei ca. 22% (rund 40.000 von 184.235 Wahlberechtigten).
Unter der Annahme, dass das Wahlverhalten in den 5 untersuchten Sprengeln dem Ottakringer Schnitt entspricht, würde das bedeuten, dass von 1.195 Wahlberechtigten 180 gewählt haben. Das ist doch Ausdruck einer sehr hohen politischen Passivität, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass die Bezirksratswahlen für die Betroffenen die einzige offizielle politische Partizipationsmöglichkeit im Staat ihres Aufenthalts darstellen.
Der Befund wäre jedoch nicht vollständig, wenn man nicht auch die erzwungene politische Abstinenz in Rechnung stellen würde: Damit meine ich jenen Teil der ausländischen Bevölkerung, der mangels Herkunft aus einem EU-Mitgliedsland keinerlei Wahlrecht genießt. Es stellt sich die folgende Frage: Wie hoch ist die Wahlbeteiligung in diesem Grätzel – unabhängig vom Wahlrecht – gemessen an der gesamten Wohnbevölkerung im Wahlalter?
Wahlbeteiligung der gesamten Wohnbevölkerung im Wahlalter: 44-52%?
Mir liegen leider keine Daten zur Wohnbevölkerung auf Sprengelebene vor, daher bin ich zu einer Überschlagsrechnung gezwungen. Dabei lässt sich einerseits unterstellen, dass der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in den fünf Brunnenviertel-Sprengeln dem Ottakringer Schnitt vom 1.1.2014 entspricht (31% laut offiziellen Angaben, wobei kroatische BürgerInnen nicht mehr enthalten sein sollten). Dann gäbe es auf Basis des Anteils der UnionsbürgerInnen im Grätzel noch 400 weitere Personen, die in den fünf Sprengeln leben und sich zwar im Wahlalter befinden, aber über keinerlei Wahlrecht verfügen. Alternativ ließe sich unterstellen, dass das Verhältnis UnionsbürgerInnen / AusländerInnen aus Drittstaaten im Brunnenviertel dem Ottakringer Schnitt entspricht. Das ergäbe 1.300 weitere Personen ohne Wahlrecht, aber auch einen Gesamtanteil der ausländischen Wohnbevölkerung von 41%, also weit über dem Ottakringer Schnitt.
Zusammen mit den 4.746 Personen, die bei den jüngsten Bezirksratswahlen wahlberechtigt waren, ergäbe das insgesamt mindestens 5.150 und bis zu 6.050 Menschen im Wahlalter. Auf dieser Basis könnte die Beteiligung an den Gemeinderats- und Bezirksratswahlen in den fünf Brunnenviertel-Sprengeln im Extremfall nur 44% betragen haben!
Die Bilanz: Im Grätzel haben vielleicht bis zu 20% der Bevölkerung politisch nichts mitzureden, von weiteren 20% (1.195), die bei den Bezirksratswahlen wahlberechtigt sind, wählen vielleicht nur 180 (15%), und von den ÖsterreicherInnen verzichten auch noch geschätzte 30% auf ihr Wahlrecht. Insgesamt sollte bei solchen Zahlen doch die Alarmglocke schrillen.