Notdurft, Mistplatz und die Tante Jolesch

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Mit der Eröffnung der neuen WC-Anlage Mitte Mai ist die letzte Auflage von “Yppenplatz neu” nunmehr abgeschlossen; was die Erscheinung der “Bedürfnisanstalt” an sich und ihre Einpassung in die lokale Umgebung betrifft, dürften sich die Geister scheiden.

Dass die automatischen WC-Türen ziemlich langsam schließen, wird den wenigsten auffallen (eilig darf man’s nicht haben, abgesehen von den 50 Cent), und “Öko” ist es nicht gerade: Bei meinem bisher einzigen Test gurgelten schon beim Öffnen der Türe gefühlte zehn Liter lautstark in die Muschel (Lichtschranke?); ebenso beim Verlassen des noblen Etablissements. Aber vielleicht finden einige die nächtlichen Lichtspiele an den WC-Fassaden interessant (siehe Fotocollage oben). Das System ist übrigens interaktiv; ab und zu kann man Menschen beobachten, die vor dem WC mit den Armen herumwacheln, hin und herlaufen, springen oder andere seltsame Bewegungen ausführen, um entsprechende Reaktionen hervorzurufen. Auch eine Unterhaltung.

Alles in allem lässt sich der Umgestaltung doch etwas abgewinnen – allerdings nur im Sinne der Tante Jolesch: “Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist”.

Noch ein Glück ist, dass:

  • Das Marktamt wenigstens Pachtzahlungen – davon gehe ich aus, auch wenn ich es nicht weiß – von der Ottakringer Brauerei bekommt (aber das Marktamtsgebäude praktisch endgültig privatisiert wurde)
  • Die Lautsprecherboxen außen am Ottakringer Flagship Store wieder weg sind (aber bei Bedarf wieder montiert werden können)
  • Wenigstens ein WC und ein Behinderten-WC in der Nacht gratis benutzbar sind (aber das Pissoir weg ist, es ansonsten 50 Cent kostet und sich hoffentlich niemand nachts drin einsperrt); die Wiener Linien schließen ja ein WC nach dem anderen, etwa auf der U6-Station Josefstädter Straße …
  • Dumpstern unter den Augen der Betreuung noch möglich ist (aber nur mehr zu Marktzeiten; auch die übrigen Abfallcontainer, bisher rund um die Uhr zugänglich, sind nur mehr zu Marktzeiten benutzbar)

Kein Glück ist leider:

  • dass niemand am eigenen Geldbörsel merken wird, dass WC und Mistplatz der öffentlichen Hand, also uns allen nun viel teurer kommen als zuvor (Personalkosten zumindest zwei Vollzeitjobs), und
  • dass den meisten entgehen wird, worauf das alles hinausläuft: Einschränkung der öffentlichen Dienstleistungen bei erheblich höheren Kosten.

Die Preisfrage ist natürlich: Ist das alles das Geld wert (unser Geld nämlich)? Und wäre mit dem Geld nicht Sinnvolleres anzufangen gewesen als es für eine zweifelhafte Anhebung der lokalen Lebensqualität auszugeben, vor allem in Zeiten einer stagnierenden Wiener Wirtschaft? (Siehe Wiener Wirtschaft auf Talfahrt)

Mit der Pacht, die die Ottakringer Brauerei für ihren “Marktstand” zahlt, lassen sich die Kosten, wie hoch sie nun auch immer sind (es lebe die Transparenz!), jedenfalls nicht refinanzieren. Zur Umwegrentabilität fällt mir nur Samuel Beckett ein: Warten auf Godot. Was immer da zusätzlich an Nachfrage generiert wird, über eine bloße geographische Verschiebung innerhalb Wiens hinaus, wird locker vom steigenden lokalen Preisniveau aufgefressen werden. [Kurz: V.a. steigende Kosten von Mieten und Eigenheimen reduzieren die übrige Konsumnachfrage, während die Zusatzeinkommen der ImmobilieneigentümerInnen und Banken (Kreditkosten) im Wesentlichen auf den Finanzmärkten landen und der Realwirtschaft entzogen werden.]

Noch etwas zum Thema Mistplatz & Dumpstern: Ich habe einen sachkundigen Bekannten gebeten, eine Einschätzung des Problemkreises für diesen Blog zusammenzufassen – eine der wenigen Personen, die vielleicht einen negativen ökologischen Fußabdruck aufweisen, ohne anteilige Zurechnung des Fußabdrucks der öffentlichen Infrastruktur. Ich hoffe, seine täglichen Recycling-Aktivitäten lassen es zu, dass er diesen Beitrag auch tatsächlich verfasst …

papierkorb_1 Meine einschlägigen Erfahrungen halten sich nämlich in engen Grenzen. Allerdings ist es mir zuletzt noch gelungen, einen durchaus brauchbaren Papierkorb einer Weiterverwendung zuzuführen (siehe Foto) – ein möglicherweise historisches Objekt: der letzte Metallabfall am Yppenplatz, der vor der Verschrottung gerettet werden konnte …

Früher gab es hier übrigens noch eine Sondermüllabgabestelle, lang ist’s her. Jetzt gibt’s nur mehr mobile Sammlungen – wer sich die Termine nicht mit dicken roten Lettern irgendwo an die Wand hängt oder auf andere Art merkt, hat Pech gehabt. Ab in die Kendlerstraße, sind ja nur drei Kilometer.

3 Gedanken zu „Notdurft, Mistplatz und die Tante Jolesch

  1. Hallo!
    Eine Frechheit! Wenn man als Mamma oder Papa mit den Kinder dort mal aufs Klo muss. Über den Tag 4x a 50 Cent = 2 Euro am Tag bei 20 Tagen (Mo bis Frei) sind das 40 Euro im Monat. Danke an die Stadtregierung.
    lg Franz

    • Hallo damsdara,
      wenn’s um Lebensmittel geht, ist nachts praktisch nix zu holen. Das geht nur unmittelbar beim Anliefern der Kisten und Kartons, unter den Augen der MA48er und wenn’s die Standler-Leute zulassen, dass man sich was raussucht. Ist so, dass es wie eine Art von Betteln wirkt leider.

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