Der Yppenmarkt ist zwar kein Gespensterschloss, aber doch ein Ort verblüffender Geschehnisse. Willkommen in der fabelhaften Welt in Neulerchenfeld.
Vorneweg: An die mysteriöse Verwandlung des Marktamtgebäudes in einen Marktstand im Herbst 2014 kommt so leicht nichts heran. Dank dieser magischen Transformation konnte die Ottakringer Brauerei ohne Baubewilligung und ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des Bebauungsplans das zweistöckige Flagship-Store für ihre Marke Brauwerk Wien errichten. (Siehe u.a. Flagship-Store Brauwerk Wien: Ein Grau- oder Schwarzbau?)
Dass uns das Marktamt regelmäßig mit derart erstaunlichen Zauberkunststücken beglückt, wäre wohl zuviel verlangt. Wir müssen uns in der Regel mit alltäglicheren Tricks begnügen. Einer davon betrifft die Marktstände Nr. 153-155, zuletzt bekannt unter dem Namen Einraum.(Wer sich dahinter verbirgt, konnte ich trotz einiger Web-Recherchen bisher nicht herausfinden. Für Tipps bin ich dankbar.)
Diese Lokalität ist seit Dezember 2014 zu (siehe Brunnen-/Yppenviertel: Potjomkin lässt grüßen); sie war meines Wissens seither keinen einzigen Tag geöffnet. Zuerst sollte laut Anschlag im Winter 2014/2015 ein Wasserschaden behoben werden, dann wurde das Objekt monatelang von der Immobilienfirma Advanta um den Spottpreis von 234.000 Euro angeboten (inkl. Umsatzsteuer, ohne Maklergebühr).
Im Sommer war dann eine überraschende Ankündigung zu lesen: „Wir sind vom 3. August bis 7. September auf Urlaub und sperren dann wieder auf!“ (Siehe Foto ganz oben.)
Das war natürlich eine „Marktente“, wie man sagen könnte. Der „Urlaub“ vom Urlaub – schließlich war das Lokal vor dem 3. August auch schon zu – wurde von den Betreibern offenbar dazu genutzt, eine andere Immobilienfirma, nämlich Remax, mit dem Verkauf des Objekts zu beauftragen. Der Preis ist nun auf rund 180.000 Euro zzgl. Maklergebühr gesunken. Vielleicht findet sich ja jetzt jemand, bei der ausgezeichneten Lage: „Goldgrube Yppenplatz“ heißt es auf der Remax-Website.
All das erscheint doch etwas mysteriös, allein schon wenn man das Marktrecht kennt. Denn laut § 17 (1) Zif. 4 Marktordnung sind Zuweisungen unter Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist zu widerrufen, wenn [der Marktplatz oder die Markteinrichtung] „… ausgenommen wegen vorübergehender Ausübungsunfähigkeit infolge Krankheit oder anderer berücksichtigungswürdiger Gründe, während drei aufeinander folgenden Monaten nicht mindestens an der Hälfte der möglichen Markttage betrieben wird“. (Link zur Marktordnung Wien)
Es könnte zwar sein, dass die Zuweisung tatsächlich widerrufen wurde, aber das Marktamt eine ungewöhnlich großzügige Räumungsfrist eingeräumt hat. Das ist aber unvereinbar mit der mysteriösen Ankündigung einer Wiedereröffnung im September, die sich eher wie ein Versuch ausnimmt, gegenüber der Öffentlichkeit die Fiktion eines – wenn auch minimalen – Betriebs des Marktstands aufrechtzuerhalten; das Marktamt sollte man derart ja nicht düpieren können. Es scheint also, dass das Marktamt die Zuweisung bisher nicht einmal widerrufen hat – aus welchen „berücksichtigungswürdigen“ Gründen, darüber darf man spekulieren.
Ein paar Meter weiter war das Marktamt jedenfalls nicht so entgegenkommend. Die Zuweisung des Marktstands 142 an der Südzeile wurde offenbar gemäß § 17 Marktordnung widerrufen, und der Marktstand wurde neu zugewiesen – einer gewissen Kilicdagi KG, die hier nun das „Café Fresh“ eröffnet hat. Falls Ihnen diese Firma bekannt vorkommen sollte, ist das kein Zufall: Die Kilicdagi KG betreibt auch das Café An-Do und das Restaurant AnDo-Fisch, beides „Marktstände“ ums Eck an der Piazza.
Bloß weil beim Einraum Gnade vor Recht zu ergehen scheint, bedeutet das noch nicht, dass das Marktamt von seiner augenscheinlichen Geschäftsstrategie abweicht, nämlich dem Ziel einer Maximierung des Umsatzes pro Quadratmeter Marktfläche. Das beweist auch das jüngste Projekt am Markt: Das geplante Terrassencafé der Gerald Kerbl GmbH an der so genannten „Piazzetta“.
Für AnrainerInnen, die sich an die Piazzetta gewöhnt hatten, darunter auch ich, war es doch überraschend, dass hier nun ein weiterer Gastronomie-Standort entstehen soll. Daran ändert auch nichts, dass das Terrassencafé der Abbildung nach recht nett aussehen dürfte, ganz zu schweigen von den zwei geplanten Bäumen (hoffentlich erwischen sie die richtige Baumart, bitte keine Silberlinden wie auf der Piazza).
Der Überraschungseffekt, so weit gegeben, ist eine Folge mangelnder Information der Öffentlichkeit über die Natur der Piazzetta: Der freie Platz, sehr gut geeignet für Veranstaltungen jeder Art (Konzerte, Filmvorführungen etc.), war trotz seiner jahrelangen Existenz nicht als permanente Einrichtung gedacht, sondern nur ein Provisorium, vorgesehen als Ausweichplatz für Marktstände im Zuge der Sanierung des Brunnenmarkts.
Damals hatte Gerald Kerbl, u.a. Inhaber des Papier-Einzelhandelsgeschäfts Ecke Brunnengasse / Ottakringer Straße, die dort bestehenden Bauten erworben, abreißen lassen und den Platz dem Marktamt wunschgemäß zu Verfügung gestellt. Aber nicht auf unbegrenzte Dauer, wie mir Gerald Kerbl versicherte, sondern nur so lange, bis entsprechende Projekte für den Standort bis zur Umsetzungsreife gediehen waren. Das sei nun eben der Fall.
Interessant ist, dass der mir schon vom Yppenpark bekannte Rashomon-Effekt (siehe Rashomon am Yppenplatz) auch am anderen Ende des Platzes sein Unwesen zu treiben scheint. Denn wie mir – unter anderem aus Kreisen der Bezirks-SPÖ – mitgeteilt wurde, hätte Gerald Kerbl der früheren Vereinbarung nach (mutmaßlich wegen Fristablauf) hier gar nichts mehr bauen dürfen. Dass er das nun doch dürfe, sei allein dem Bezirksvorsteher Franz Prokop von der SPÖ zu verdanken, der ihm dieses Recht per Handschlag zugesichert hätte und nun zu seinem Wort stehen wolle – also seiner Handschlagsqualität.
Was im Prinzip für Franz Prokop spräche, wenn es sich nicht gleichzeitig um eine mehr als zweifelhafte Vorgangsweise handeln würde: Marktstände, Baugenehmigungen und dergleichen „per Handschlag“ zu vergeben klingt nicht nach Rechtsstaatlichkeit. Aber davon kann sowieso keine Rede sein, wie mir Gerald Kerbl versichert. Alles rechtens, alles in Ordnung.
Ich habe keinen stichhaltigen Grund, die Aussage einer aus meiner Sicht vertrauenswürdigen Person wie Gerald Kerbl zu bezweifeln. Aber ein gewisser Rest von Zweifel bleibt bestehen. Ich bin gespannt, ob sich dieser Rashomon-Effekt noch verflüchtigen wird.