Aufwertung stoppt Abrisse: Ein Märchen

Die Aufwertung im Brunnen- bzw. Yppenviertel würde ansonsten drohende Abrisse von Zinshäusern verhindern, meinen manche Leute mit rosaroten Brillen. Mit der Wirklichkeit hat das wenig gemein, wie eine Momentaufnahme zeigt.

Das Märchen “Aufwertung statt Abriss” wurde u.a. vom Stadtplaner Reinhard Seiß im „Stadtporträt Ottakring“ (Diagonal, OE1 vom 23.11.2013) zum Besten gegeben, abgesehen von anderen merkwürdigen Wortspenden zum Grätzel, über die ich mich schon geäußert habe (siehe Stadtporträt Ottakring & Gentrifizierung: Fast ein „Whitewash“.

Diese Aussage könnte ich nicht nachvollziehen, schrieb ich damals: Häuser mit guter Bausubstanz dürften kaum abgerissen werden, die mit schlechter allerdings schon, ob mit oder ohne Aufwertung. Als nächste Abrisskandidaten “würde ich v.a. Häuser ohne oder mit nur 1-2 Obergeschossen betrachten”, wagte ich eine Prophezeiung.

Und zwar ungeachtet der Bausubstanz, wie hinzuzufügen ist. Das entspricht einer Verwertungslogik, die mittlerweile in Wien der Normalfall ist. “Immer mehr” Bauträger in Wien, so Wilhelm Fetscher, Geschäftsführer von RE/MAX DCI) in einer Presseaussendung vom 7.1. 2015, “kaufen alte Gebäude, tragen diese ab und errichten neue Gebäude. Dies scheint günstiger zu sein, als leere Baugrundstücke zu erwerben.“

Günstiger? Naja – eher lukrativer, würde ich sagen. Die leeren Baugrundstücke befinden sich ja in der Regel nicht gerade dort, wo sich die höchsten Mieten und Wohnungspreise verlangen lassen. Richtige Gustostückerln sind daher niedrige Althäuser in einer “guten” Gegend – oder in einem Viertel, in dem die öffentliche Hand großzügig mit öffentlichen Mitteln für steigende Preise sorgt.

Wie eben hier im Grätzel. Das ehemalige Kaufhaus Osei in der Brunnengasse (heute „Dichter-Hof“) wurde wegen angeblich schlechter Bausubstanz abgerissen, ebenso wie das Zinshaus in der Hubergasse 19, und alle nachstehend aufgezählten Objekte (abgerissen oder geplanter Abriss) erfüllen mein angegebenes Kriterium – sie hatten / haben nur 1- 2 Obergeschosse. Das trifft sogar auch auf das abgerissene (pardon, umgebaute) Marktamtgebäude zu, abgesehen vom alten öffentlichen WC …

Brunnengasse / Ecke Neulerchenfelderstraße

Brunnengasse / Ecke Neulerchenfelderstraße


Ecke Neulerchenfelderstraße / Brunnengasse (noch immer eine Baulücke). Hier sollen freifinanzierte (also teure) Mietwohnungen entstehen, heißt es schon ziemlich lange – und Bezirksvorsteher Prokop meint, dass hier unbedingt ein Kunstwerk aufgestellt werden muss. Offenbar, um der privaten Verwertung des Wohnungsbedarfs einen Anschein von öffentlichem Interesse zu verpassen.
Bergsteiggasse 6: Platz für teure Wohnungen

Bergsteiggasse 6: Platz für teure Wohnungen


Zinshaus Bergsteiggasse 6 – auch schon einige Zeit eine Baulücke. Könnte sein, dass hier noch auf weiter steigende Immobilienpreise spekuliert wird. Flüchtlingsunterkünfte werden hier jedenfalls sicher nicht gebaut.

Das Gebäude Brunnengasse 54-56 gegenüber dem Wollnerhof mit dem Hürpas-Supermarkt; dieser Abriss ist schon länger geplant. Hier darf die Gewog, ein gemeinnütziger Bauträger, ihr lokales “Imperium” (Wollnerhof, Büroturm Hernalser) weiter ausbauen. Dafür wird sie großzügig mit Garagenförderung (für die Tiefgarage mit ca. 190 Stellplätzen) und Wohnbauförderung unterstützt, was aber noch nicht hinreicht. Damit sich die Gewog die “Gemeinnützigkeit” überhaupt leisten kann, wird es oben auf noch eine oder zwei freifinanzierte Eigentums-Etagen zu Marktpreisen (also sündteuer) zu kaufen geben.

Brunnengasse 54-56: Ausbau des Gewog-Imperiums

Brunnengasse 54-56: Ausbau des Gewog-Imperiums

Die Leute, die brunnengassenseitig im Wollnerhof wohnen, haben bereits reihenweise Anträge auf Umzug in den geplanten Neubau gestellt, wie mir eine Hausbewohnerin mitteilte. Man will sich ja die Aussicht nicht verschandeln lassen.

Das Grundstück gehört übrigens den “Vereinigten Altösterreichischen Militärstiftungen” ebenso wie das Yppenheim am Gürtel samt Park; der Gewog soll offenbar nur ein Baurecht eingeräumt werden. Dazu gäbe es noch mehr zu sagen, ebenso wie zu den (kolportierten) zukünftigen BewohnerInnen des Gewog-Baus aus dem Ottakringer Bezirksrat …

Brunnengasse 62

Brunnengasse 62

Brunnengasse 62 – das Haus der Fleischhauerei Sterkl, die schon vor einiger Zeit das Handtuch geworfen hat. Der Abriss ist nicht bestätigt, aber es gab am 12. Februar schon eine „Abrissparty“. Nachtrag 13.3.2016: Das Gebäude wird derzeit “zwischengenutzt”, wie ich mittlerweile erfahren habe, und zwar vom Kunstverein Kevin Space.

Unklar ist ja für mich bereits, wie der lokale Marktbetrieb aufrechterhalten werden soll, wenn das Hürpas-Gebäude abgerissen wird und der Aushub für die Tiefgarage beginnt. Und wenn das Haus Brunnengasse 62 auch noch gleichzeitig von Abrissbirnen zerschmettert wird, dürfte die Logistik ziemlich “herausfordernd” werden.

Gaullachergasse 55

Gaullachergasse 55

Gaullachergasse 55: Auch dieses Haus soll abgerissen werden (private Mitteilung eines Anrainers). Sieht eigentlich nicht unbedingt verfallen aus, aber wer weiß, wie es um die “Bausubstanz” bestellt ist – das hat sich beim Kaufhaus Osei ja auch erst im Zuge der Bauarbeiten herausgestellt. Dann musste man ja “leider” abreißen.

Weitere derartige Abrisskandidaten gibt es im Grätzel haufenweise – die Haberlgasse etwa ist voll davon. Das Verdichtungspotenzial ist also erheblich. Aber nicht für Wohnraum, den sich Menschen mit geringen Einkommen leisten können – von denen es leider immer mehr gibt, der anhaltenden Wirtschaftskrise und der steigenden Arbeitslosigkeit sei Dank.

Haberlgasse: Verdichtungspotenzial

Haberlgasse: Verdichtungspotenzial

Was tatsächlich gebaut wird, sind Wohnungen für die Mittelschicht und “Bobos”, einschließlich der geförderten “Sockelsanierungen” und natürlich der Dachbodenausbauten. Siehe Hubergasse 19 oder das in Bau befindliche Objekt an der Ottakringer Straße 70, neben der ehemaligen Cosmos-Filiale: Eigentums- und “Vorsorgewohnungen”- die bringen arbeitsloses Einkommen und bessern jenen die Pension auf, die das nötige Kleingeld für solche “Investments” aufbringen können.
Ottakringer Straße 70: Die Zukunft des Grätzels

Ottakringer Straße 70: Die Zukunft des Grätzels


Die Botschaft ist klar: Untere Einkommensschichten als “Dauergäste” sind im Grätzel nicht mehr erwünscht. Arbeiten dürfen sie hier aber schon. Irgendwer muss ja die schlecht bezahlten Teilzeitjobs machen oder sich für einen Schmattes hinter einen Marktstand stellen, damit das gepriesene Multikulti-Flair erhalten bleibt.

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