Warum die Gentrifizierung voranschreiten wird

Die Gentrifizierung oder „Boboisierung“ des Brunnen- bzw. Yppenviertels samt den unmittelbar anschließenden Grätzeln wird in den kommenden Jahren weitergehen. Grund: Bei den für die Entwicklung verantwortlichen Faktoren ist keine Änderung abzusehen.

Studien, Daten, Hintergründe zum Wohnungs- und Immobilienmarkt

Zu diesem Schluss werden viele schon lange vor mir gekommen sein. Ich für meinen Teil hielt es im Herbst 2013, als ich den Blog startete, noch für möglich, dass etwas Sand ins Getriebe geworfen werden kann. Dafür sehe ich nun aber keine Chance mehr.

Nachfolgend beschreibe ich kurz die m.E. für die lokale „Aufwertung“ maßgeblichen Parameter, in einer Rangordnung der Rahmenbedingungen nach Politikebene.

1. Geldpolitik. An erster Stelle steht die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) einschließlich der so genannten „quantitativen Lockerung“ (Anleihekäufe). Sie sorgt unter gegebenen Umständen für eine historisch niedrige Realverzinsung oder sogar negative Renditen von „sicheren“ Anlagen (insbesondere Staatsanleihen) und treibt damit renditesuchendes Kapital auf die Aktienmärkte und Immobilienmärkte, wo die Preise demzufolge steigen. (Siehe u.a. Immobilien ersetzen Sparbuch, ORF 18.5.2016.)
Trotz der weitgehenden Erfolglosigkeit dieser Politik – das Inflationsziel wird nicht erreicht, die Konjunktur springt nicht an, u.a. weil aufgrund budgetpolitischer Bedenken die staatliche Nachfrage nicht im erforderlichen Umfang erhöht wird – beabsichtigt die EZB sie für die nächsten Jahre fortzusetzen. (Siehe etwa EZB-Chef will Geldpolitik ultra-locker halten (ORF, 7.10.2016) )

2. Wirtschaftswachstum & Banken. Die Investitionsnachfrage bleibt mit Ausnahme des Immobilienmarkts (Wohnimmobilien) trotz niedriger Zinsen historisch schwach (Beispiel Österreich siehe Factsheet der Wirtschaftskammer Österreich, pdf), weshalb die „Fütterung“ des Bankensystems mit Liquidität durch die massiven Anleihenkäufe der EZB verpufft. Die Banken haben europaweit trotz Rettungsprogrammen noch immer mit den Folgen der Finanzkrise zu kämpfen und geraten durch die niedrigen Zinsmargen sowie durch die höheren Eigenkapitalanforderungen (Basel III) zusätzlich unter Druck. Darunter leidet die Kreditvergabe, mit Ausnahme von Hypothekarkrediten. Daran wird sich so bald nichts ändern, selbst wenn die EZB ihre Ankäufe reduziert.

3. Wohnbau. Insbesondere im Wiener Raum wurden in den letzten Jahren insgesamt zu wenige neue, v.a. zu wenige günstige Wohnungen errichtet, um dem Bedarf aufgrund der demographischen Entwicklung (Zuwanderung) und der schlechten bis negativen Einkommensentwicklung gerecht zu werden (steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Realeinkommen). Die Nachfrage nach Arbeit ist effektiv rückläufig (2015 sinkendes Arbeitsvolumen österreichweit), ungeachtet der steigenden Zahl von Beschäftigungsverhältnissen. Die Initiativen der Wiener Stadtregierung (neue Gemeindewohnungen, „mobile/temporäre“ Wohneinheiten, Dachgeschosswohnungen im Gemeindebau) sind positiv, aber nicht ausreichend, um dem Aufwärtstrend der Preise auf dem Wohnungsmarkt entgegenwirken zu können.

4. Mietrecht. Eine Möglichkeit, wenigstens den lokalen Vertreibungs- und Aufwertungsdruck zu dämpfen, wäre eine Abschaffung oder wenigstens starke Beschränkung der Befristung von Mietverträgen gewesen. Befristete Vermietungen haben sich als patentes Mittel sowohl für regelmäßige Mieterhöhungen als auch für das „Leerkündigen“ von Zinshäusern erwiesen, die dann saniert bzw. abgerissen und v.a. in Form von Eigentumswohnungen lukrativer verwertet werden können. Die amtierende Große Koalition kann sich darauf jedoch offenbar nicht einigen, sprich, die ÖVP blockiert entsprechende Initiativen der SPÖ (siehe SPÖ im Alleingang, ORF 4.8.16).

Das ist ein Déjà vu aus den 1990er Jahren, als die befristeten Mietverträge ebenfalls von einer Großen Koalition eingeführt wurden, entgegen den Forderungen der Wiener SPÖ. (Siehe AK und billigeres Wohnen – ein Déjà vu.) Von strengeren Mietzinsobergrenzen, die wohl ebenso unwahrscheinlich sind, halte ich übrigens nichts. Sie hätten nur Aussicht auf Erfolg, wenn gleichzeitig mit einer massiven Angebotserhöhung der Druck vom Markt genommen und ein Vermietungszwang bei längeren Leerständen eingeführt würde. Ansonsten dürften sie stattdessen eher einen Graubereich schaffen (wie früher mit den „Ablösen“) und den Prozess der Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum beschleunigen.

5. Bezirks- und Gemeindepolitik. Die SP-geführte Bezirksverwaltung hält daran fest, mit allen verfügbaren Mitteln, von der Wohnbauförderung bis zu öffentlichen Investitionen, die Aufwertung des Brunnen- und Yppenviertels weiter voranzutreiben. Viel anderes bleibt auch nicht übrig, wenn man sich im Viertel wichtig machen will. Lokal günstigen Wohnraum zu schaffen, um die soziale „Durchmischung“ zu erhalten, ist praktisch unmöglich. Das Grund- und Zinshauseigentum befindet sich weitgehend in privaten Händen, und das lokale Preisniveau ist bereits zu hoch. Das Beste der Gefühle ist die Subventionierung gemeinnütziger Wohnbauträger wie z.B. die vorgesehene Garagenförderung für das Gewog-Wohnbauprojekt in der Brunnengasse 54-56 (siehe u.a. Aufwertung stoppt Abrisse: Ein Märchen).

6. Marketing & Hype. Die Vermarktung des Viertels durch die Immobilienbranche erfolgt in eigenem Interesse und wird weitergehen. Dass die Medien (inklusive der „alternativen“) plötzlich ihren Hype abstellen und ihre eigene konsumorientierte LeserInnenschaft (Kultur & Gastronomie) durch kritische Berichterstattung verstören oder sogar verärgern, wäre doch eine große Überraschung.

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